Helene Hegemann, Jage zwei
Tiger, Hanser Berlin 2013.
Will man Verrisse schreiben, muss man schlechte Bücher lesen und
damit für die Boshaftigkeit, von der man sich lenken lässt, Buße tun. Ich stehe
also als Büßer in der Manege, als einer allerdings, der bereits gebüßt hat und
jetzt loslegen darf. So beginnt eine Expedition aus dem reinlichen Manegensand
in klebrig-kotigere Gebiete. Denn in Hegemanns Roman betreten wir den homo sacer von hinten und erleben ihn
von innen; wir befinden uns in Agambens Darmtrakt. Sehen wir also, welche Flora
und Fauna uns begegnet! Die Machete ist bereit.
Schachtelsatz.
Auf allen Feldern und sogar noch im Unterholz blüht der Schachtelsatz.
Spezifiziert handelt es sich um den Schulaufsatzschachtelsatz, wie ihn der
Duden zur Pflege empfiehlt. Fürs Herbarium: Er
brachte sie in einem gemieteten Landrover in die Nähe des Hotels, in dem Gloria
bereits schlief, und nahm während einer unausgegorenen Verabschiedungsgeste den
Anruf seiner Frau entgegen, die sich gerade das kobaltblaue Kleid übergezogen
und in Würde hingenommen hatte, dass ihr Mann nicht nach Hause gekommen war.
(s.71) Man wundert sich ein bisschen ob der ubiquitären Vorkommnis dieses
Gewächses. Ein Roman, der in seiner Intention vor Witz und Geilheit kaum an
sich halten kann, sollte sich wohl eher nicht von so altväterischem Kraut
nähren. Die Bitterkeit im Geschmack des Schachtelsatzes rührt vor allem von
seiner attributiven Qualität her und wird durch die Überdosis an Adjektiven
gesteigert. Ach, jedem Nomen eine Qualifizierung, wozu? Diese Sätze schwanken
langfädig und ziellos durch die Gegend.
Engel u. Mistkäfer.
Scheiße muss mindestens in jedem dritten Satz vorkommen. Ansonsten würde nicht
klar, wie abgefuckt alles ist. Jede Figur, inklusive des Erzählers, ist ein
abgefuckter Mistkäfer mit Scheißdrall. Das ist dann doch auf die Dauer, nach
zwei Seiten, etwas öd und leer, und zwar nicht in dem Sinn, dass die Ödnis der
Figuren und die Leere einer Welt ins rechte Licht getaucht würden, sondern nur
im Sinn einer narrativen, ästhetischen, handwerklichen Wüstenei. Englische
Stimmen säuseln zudem aus allen Zweigen: Family, whatever und so,
Milieuwortschatz halt unter Engeln. Der Matrose sagt ja auch immer Ahoi.
Harald Schmidt.
Harald Schmidt kommt nicht vor. Aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, um
einige verstreute Anspielungen zu bündeln. Hegemann war nach Veröffentlichung
von Axolotl Roadkill in der
Harald-Schmidt-Show zu Gast, wobei sich herausstellte, dass bei ihr v.a. zwei
thematische Schwerpunkte herrschen: Arschfick und Agamben. In ersteren muss
nicht theoretisch eingeführt werden, in letzteren vielleicht schon eher, obwohl
weder Hegemann noch ich, selbstverständlich, Agamben gelesen haben, es geht nur
um den Brand. Das Hauptprodukt des Brands ist der homo sacer, der entrechtete Mensch in Zwischenräumen der
Jurisdiktion, z.B. Häftlinge in Guantanamo. Und kennen wir das nicht alle? Nach
dreißig Cocktails schaffe ich es einfach nicht mehr, mich abzuschminken, und
krümme mich unter der Bettdecke, ein Opfertier des Systems, das die Welt
bedeutet. Das ist der homo sacer aus
Berlin Mitte. Die restlichen Assoziationspunkte möge der Leser selbst
numerieren und verbinden, und er wird sehen: Es wird ein Schuh daraus.
Jammerlappen.
Diesen Schuh brauchen wir, um durch all die Jammerlappen zu stapfen, die wie
ein Geäder aus rotem Teppich die Wege im wilden Darm weisen. Und das wäre die
Stärke des Texts! Satire. Selbstverständlich sind all diese Mistkäfer und Engel
mit szenigen Tattoos usw Parodien in ihrem Gejammer. Leider ist der Roman aber
auch eine Parodie seiner selbst, ein bemühter Versuch, satirisch zu sein, und
dabei genauso jammervoll wie Gloria und Samantha: Denn wenn etwas noch
abgegriffener ist, als sein Kind Samantha zu taufen, dann, einen Roman über
Leute zu schreiben, die ihr Kind Samantha taufen könnten, und das Kind dieser
Leute Samantha zu nennen. Genauso lächerlich, wie der Versuch der Protagonisten
cool usw zu sein, ist der Versuch des Roman diese versuchte Coolheit (in
Coolheit) darzustellen. Wir stehen eben wirklich nicht vor dem homo sacer, sondern in ihm.
Sumpfboden.
Der Roman ist zäh. Kein Schritt gelingt, der Schuh nützt uns nichts, man sinkt
ein. Der Roman ist langweilig. Die Syntax ist spießig gebaut, die Handlung ist
spießig geil, kein Wort hat Witz, kein Satz Elan. Man schleppt sich bei fünfzig
Grad und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit durch die Seiten. Die lethargischen,
quengeligen Langweiler werden lethargisch und quengelig in Langeweile betextet.
Das Opfertier blickt sich selbst im Spiegel an.
Das Grundproblem dieses Textes ist schlicht, dass zu wenig gefickt
wird. Da klafft Agamben vor dir, und du haust nicht mal Goethes Pfropf rein!
Stattdessen ein Herumtapsen mit Wurstfingern. Jage zwei Tiger ist der spießigste Roman seit Narziss und Goldmund und anal nur in einem Sinn: verklemmt. (Doch
Friede sei mit dir!, ich möchte bedingungslos mit dich däncen, Helene, melde
dein!)