Reinhard Jirgl,
Nichts von euch auf Erden, Hanser
2013.
Ein Schwan
guckt über den Horizont und sieht mir zu, wie ich meinen Hund schamponiere. In
allen modert Rührung, und salzige Kaulquappen hüpfen aus unseren Augen, um als
Seifenblasen durch die Atmosphäre zu steigen, wo sie sich auf den Brustwarzen
der Milchstrasse niederlassen, ruhig vorsichhinzitternd wie demente Urgroßväter
in ihren Schaukelstühlen. (Indulgation)
Reinhard Jirgl
hat einen Zukunftsroman geschrieben. Einen ausgeprochen säkularen, kann man
dazu sagen. Nicht nur sind die Engel, die durch die Wolkendecke fahren, äußerst
weltlich, in dem Sinne, dass sie Lebewesen wie
Menschen sind, sondern, noch weltlicher,
sind sie Menschen, Menschen von dieser Welt: ehemalige Marsauswanderer
nämlich, die nun zurück auf die Erde kehren, um dieser ihr Leben aufzuzwingen.
Gleichzeitig wird das Säkulare biblisch konterkariert, da die marsianische
Erdexpedition den Namen E.S.R.A trägt, nach Esra, dem "Schriftgelehrten,
bewandert in der Weisung Mose" (Zürcher Bibel, Esra 7.6), der von
Artaxerxes aus dem babylonischen Exil nach Israel gesandt wurde, um dort
"Satzung und Recht zu lehren" (7.10). Wie Esra kehren auch die
marsianischen Exilanten zurück ins Stammland und belehren die
Zurückgebliebenen. Diese Belehrung besteht in erster Linie aus
Fortpflanzungsdoktrin, auch dies wie bei Esra, der sich hauptsächlich mit dem
Problem der Mischehe befasste. Denn die Erdbewohner, zumindest die Europäer,
von denen der Roman handelt, haben sich der "Detumeszenz"
verschrieben, der Abschottung von der Welt und der Fortpflanzung, und warten
reglos in Frieden auf den Tod. Von den Marsianern werden sie nun mittels
rabiater Impfungen wieder zur Regung animiert.
Soweit der
Rahmen. In diesem Rahmen bewegt sich ein junger, verliebter Ich-Erzähler, der,
als geimpfter Europäer, bald auf den Mond reist, um dort ein Arbeitslager zu
überwachen, dann auf den Mars, wo er selbst in Turbulenzen gerät (wobei er auch
eine lebende Gans essen muss), bis er am Ende auf die Erde zurückkehrt, ohne
(vermutlich) seine frühere Geliebte zu finden, dafür aber, um zu beobachten,
wie der Mars in Magmaströmen auseinanderbricht, sein Mond Phobos auf die Erde
zurast -; nun, mehr beobachtet er nicht, aber "die Bücher, die nur für
Bücher schreiben" (465; übrigens "morfologische Bücher", siehe
die Assoziation weiter unten, die den "Roman einer Zukunft", siehe
oben, schreiben), schildern das Ende der Welt und des Lebens und versprechen im
letzten Satz vielleicht auch einen Neuanfang.
All das, bis
auf den Neuanfang, klingt ein wenig nach Lars von Trier, und man kann sich wohl
die Frage stellen: Wozu? Diese Frage ist bei Jirgl besonders brisant, da seine
Sprache, oder wenn man modisch sprechen will, die Textur des Romans, viel mehr
Zerrüttung, Zerklüftung, Zukunft birgt, als es irgendein futuristischer Plot
könnte. Zwar ist klar, dass die überwältigende sprachliche Kraft eine
Haftfläche braucht, an der sie überhaupt wachsen kann, und das gelingt Jirgl in
(post)apokalyptischen Kontexten wie hier oder anhand der Braunkohlelandschaften
Ostdeutschlands in Die Stille am
besten. Aber leider ist die Albernheit, die jeder Plot an sich hat, und ein
futuristischer speziell, der Entfaltung der Sprache, und dadurch der
eigentlichen Wirkung des Texts, eher abträglich. Wenn doch ein bisschen weniger
Plot sein könnte! Aber damit genug von Geschichten, und zum Kern der Sache. Ein
Textbeispiel aus dem wunderbaren Prolog des Romans:
!Tretet Allemauern Allebarrieren !nieder. - !Ja, rasch
noch sagen & wagen Das, was noch Niemals von Keinem gesagt & von
Niemandem gewagt: Das-Äußerste. Doch ?was ist das-Äußerste : 1 zugespitzte
Landzunge aus einer öden Meeresbucht - ? Was findet sich im-Äußersten : im
Flachwasser angeschwemmt Unrat Müll Kotbatzen Auswürfe der Immergleichen.
Haldenhoch ausgestreut Schallscherben über die Ufer die getrümmerten Schreie -
All=ungehört - ?Wohin wagt sich die Atridenschwemme mit verrosteten Schwertern,
Bell Kant-oh der Säkulum-Yahoos mit troglodytem Blök & Gemaule, Religion
Jogging Nordick Wall-King die Geh-Hilfen fürs ramponierte Hirn, milde
Kräutertees & Stullenpapier beschmiert mit Schamanenfett Yogakringel in
Butterkrem die Gemüteratzung & Schmalzbrote im Gepäck für den Seelenwandertag
: Zum Ex-Oriente-Horizont - Ab-Zucht Gehirnphimose, bedrängt & gehetzt von
Notwendigkeiten "Sale. Alles muß raus" - die Heut&hier leben:
hartgesotten=verweichlicht.....
Mensch aber wäre nicht-Mensch wüßt er sich nicht immer
zu trösten. (7-8)
Optisch fällt
Jirgls Prosa auf, und gewisse Leute fragen auch hier: Wozu? Aber anders als im
Fall des Plot-Wozu gibt es diesmal eine schlüssige Antwort. Jirgl befindet sich
im Kontext einer Ästhetik, die von der Wiener Gruppe (Wiener, Rühm, Artmann,
Bayer) und den Zürcher Konkreten (Gomringer) in der Nachfolge von Dada und
Joyce über Jandl oder Arno Schmidt bis zur experimentelleren
Gegenwartsliteratur läuft. Da wir hier vom Optischen sprechen, nenne ich diese
ästhetische Tradition, etwas inkorrekt und vereinfachend, die Tradition der
konkreten Poesie. Die Wiener Gruppe, die die konkrete Poesie (mit Gomringer) so
etabliert hat, wie wir sie heute kennen, war stark von Wittgenstein beeinflusst
und dessen, von Goethe entnommenem, Penchant zur Morphologie. Jetzt wollen Sie
doch nicht ernsthaft Jirgls orthographische Kapriolen mit Wittgenstein
begründen? Doch! Selbstverständlich! Morphologie also: Wenn man Metasprachen,
das heißt Sprachen, die über die Struktur der Sprache selbst etwas sagen, so sehr misstraut wie Wittgenstein,
und stattdessen dafür plädiert, dass sich die Sprachstruktur (im Tractatus die logische Form, in den Untersuchungen die Regeln) in der
Sprache eingelassen zeigen müsse,
dann ist die Übersicht über die Sprache, die Ordnung ihrer Sätze wichtig: eben
ihre Morphologie. Denn in einer übersichtlichen Ordnung kann sich die Sprache
am besten zeigen.
Zur konkreten
Poesie ist es nur ein kurzer assoziativer Sprung. Die Kraft der Lyrik,
Wesentliches zum Ausdruck zu bringen, besteht nicht mehr in erster Linie in
ihrer Aussagekraft, im Bezug der Wörter auf Ideen, sondern in ihrer Zeigkraft,
der Gestalt, der Anordnung der Wörter auf der weißen Seite. In antiken
Versuchen wie Simias' Ei sind Gestalt
und Inhalt klar getrennt und klar aufeinander bezogen: Das Gedicht handelt von
einem Ei, hat die Gestalt eines Eis und ist überdem in ein Ei eingraviert. In
der konkreten Poesie der Nachkriegszeit ist so eine Verbindung nicht mehr
zwingend gegeben: Es zeigt sich eben etwas in der Gestalt des Gedichts, das
sich nicht sagen lässt und auf keiner Metaebene mit Worten fixieren. Hinzu
kommt bei Jirgl eine banalere Spielart der konkreten Poesie, Arno Schmidts
Etymtheorie, der gemäß, ganz Freudsch, jedes Wort (oder zumindest gewisse
Worte) neben der bewussten auch eine unterbewusste Bedeutung habe, die sich
nicht hören lässt, sondern nur in der Wortgestalt zeigt. Jirgl verwendet Etyms
etwa wenn eine Operationsmaschine nicht nach Algorithmen, sondern
"Algo-Rhythmen" (d.h. "Schmerzrhythmen") funktioniert
(380). Inklusive solcher Nebenschauplätze erweist sich Jirgls Text also als
konkrete Morphologie. Deshalb muss
seine Sprache optisch auffallen; es ist ihr Sinn und Zweck.
Mondlandschaft:
Die Übersicht, die uns Jirgls Morphologie eröffnet, ist derjenigen über einen
avantgardistischen Landschaftsgartens vergleichbar. Hier werden Buchsbaumbüsche
nicht zu Karrees geschnitten und die Kieswege nicht gerecht wie in Versailles,
und es ergeben sich auch keine ach so schönen Vistas wie in Stourhead, dass man
gleich nach dem Riechsalz des Nachbarn fragt. Nein, die Buchsbäume werden wild
zerhackt, der Rasen umgegraben, die Basins sind verschlammt, und die Algen
winden sich an den Blumentöpfen hoch, um den Rosen die Köpfe kahl zu schlagen.
In der Ferne sieht man keinen Buchenhain, sondern eine Braunkohlewüste, am
Wasser steht kein Tempelchen mit Apollo, sondern ein Bagger mit hocherhobener
Schaufel, aus der der Dung über die Terrassen fließt. So zerklüftet sieht die
Sprache Jirgls aus, so voller Pathos, aber auch so kompromisslos und
einschüchternd, schön in der Brutalität. Darin zeigt sich die apokalyptische
Welt des Romans wie sie kein Plot, keine Rede marsianischer Abgeordneter sagen
kann.
Soweit zu
Jirgls Veduten qua Veduten. Aber anders als reine konkrete Poesie lässt sich
dieser Text auch laut lesen. Und so vollzieht sich dasselbe noch einmal
auditorisch. Jenseits der Harmonie und des ebenen Rhythmus kracht und rumort es
in dieser Prosa. Hier zwitschern die Vögel nicht, sondern schnellen mit einem
zerrissenen Flügel im Todesschrei zwischen fallenden Bäumen empor usw. In
diesem Landschaftsgarten stehen auf allen Hügeln äolische Harfen. Aber die
Harfenrahmen sind verbogen, die Saiten verstimmt, kreuzweis gespannt, und wenn
ein Windlein weht, dann quietscht die Welt wie eine ungeölte Kaffeebohnenmühle,
grausig schön. Schön aber epigonal? Nein, denn Jirgl verwendet zwar sehr
gekonnt traditionelle experimentelle Techniken, aber so wie er hat keiner
geschrieben und schreibt keiner: Seine Texte sind im Schriftbild, im Klang, in
der Stimmung eigenständig und unverwechselbar.
Sofort umfängt uns schwerwarmer Brodem Vanille Rosmarin
Nelken Moschus Aas stechen hinein Aromen Düfte Gerüche Gestank aus immerwährend
Leben=vollem Blühen, ein dicker den Mund verschließender Pfropfen aus
erdiglehmiger Wasserluft, weich doch unnachgiebig. Im Vorübergehen streichen ihre Finger über einen Lärchenzweig, sacht u bei-läufig schließt sich ihre
Hand um das weiche Grün. - Das Glas in unsrer Nähe beschlägt, 1 Vorhang
feinster Tauperlen, die Sich nach-Draußen verschleiernd. Der große
dunkelschimmernde Pflanzenleib=seinerseits mag unsere Gegenwart erspüren -
sogleich streckt er fleischige Blatthände nach uns aus, bestreicht unsere
feucht atmenden Gesichter u die Leiber mit fadendünnen lang&luftig sich
hinwindenden Tentakeln, läßt uns weich federnd anlaufen gegen grünliche
Büschel, die aus Astwerken hervorwallen wie filzige Tangstauden auf dem
Meeresgrund. (145)
Wir sind im Garten des
Freiherrn von Risach aus Stifters Nachsommer
(diese schweren wonnigen Düfte u den
warmen Odem aus ewigem Frühling im Nachsommer eingeatmet, 213). Er ist
genauso gepflegt wie vor hundertfünzig Jahren, nur umgestaltet. Niemand trägt
mehr Filzschuhe, um den Marmorboden zu schützen. Hier ist nichts Glätte,
sondern alles rauh. Zumindest an den wirklich überzeugenden Stellen, an denen
sich alles zeigt, was an Zerstörtem und Zerstörerischem dieser Welt gezeigt werden kann. Glatt sind nur die Bemühungen, all
das in einen Plot einzuspannen. Im Plot ist Versailles und Stourhead. Er fügt
nicht nur nichts hinzu, sondern untergräbt die Kraft des Textes. Wenn man über
diese Glätten nur den Pflug schicken könnte! Ich hoffe auf einen Band mit
Prosagedichten von Reinhard Jirgl.
Sonntag, 25. August 2013
Samstag, 10. August 2013
Jelinekianer und Nicht-Wagnerianer - Zu Elfriede Jelinek
Elfriede Jelinek, rein Gold,
Rowohlt 2013.
Alle Welt dünstet Wagner aus, jeder Baum ist eine Esche, und es
ist kein Vieh, das nicht Runen raunt. Zur Rettung eilt wieder Jelinek, um nach
Aischylos (Bambiland), Schubert (Winterreise) und Goethe (FaustIn and out) auch Wagner der
Sperrmüllabfuhr des Kulturbetriebs, den Fängen seiner Manager, zu entreißen.
Auf der Bühne stehen Wotan und Brünnhilde und kalauern sich durch den Ring, die Zwickauer Zelle, den
Kapitalismus. Brünnhilde ist auch Beate Zschäpe, das Feuer, das die Götter
verschlingt, auch die Flamme in der der Wohnwagen ihrer Genossen, deutscher
Helden, aufging. Wotan ärgert sich über Jesus, aber zuletzt ist es das Gold,
das die durch und durch kapitalistische Gesellschaft des Rings vorwärtszieht: in den Abgrund. Kurz, es ist ein ganz
typischer Jelinektext, bissig, blödsinnig grandios, in den Wort- und
Ideenspielen nicht immer treffend, aber wenn, dann auf den Punkt genau und in
seiner Pünktlichkeit erst vor der Tapete all der herrlich schiefen Kalauer
deutlich. Insgesamt klingt das wie folgt, es spricht Wotan:
Ja, immer schön auf dem Teppich
bleiben! Wir müssen ja nicht gleich abheben wie dieser völlig abgehobene Jesus,
der Erlöser, aus Menschliebe sein Selbstopfer beschlossen, sein Papa hat sofort
zugestimmt, so war er ihn endlich los, der Geist hat geschwiegen, wie immer,
und die Menschen hatten ihn, den Salat, auch ab sofort, immer ist alles ab
sofort!, sie hatten ihn am Hals. Und ich? Ein Gott, der einst leben wollte,
will jetzt nur noch seinen eigenen Untergang. Das Geld will gar nichts. Es ist
da. Es ist das Dasein selbst. Es lebt in seliger Öde auf sonniger Höh. Es weiß,
wie der Gott, der sich opfert, daß es in denen fortlebt, die es besitzen. Der
Gott weiß bloß, daß er in denen fortlebt, die an ihn glauben. Die haben das
ewige Leben, das ewige Geld hat keiner, es wäre einfach zuviel, man kann es
sich nicht einmal vorstellen. Nicht einmal ein Gott, der alles geschaffen hat,
kann sich so viel von etwas vorstellen. (ss. 66-7)
Man sei eingeladen, aus diesem wunderbaren Chaos die
Werbetexterstränge, die Schopenhauerstränge usw herauszubeineln, oder noch
besser vielleicht: darin zu baden wie in ätzendem Eukalyptus. Diese Stränge
sind eigens für Wagner komponiert und für die politischen Geschehnisse der
letzten Monate, aber das Bad als ganzes ist im wesentlichen dasselbe wie immer
bei Jelinek und sein Wirken auf der Haut sehr ähnlich. Deshalb stellt sich die
Frage, warum man spezifisch rein Gold
lesen soll und nicht einen ihrer anderen Texte. Nun, zunächst kann man noch
einmal festhalten, dass man ihn Wagner zuliebe lesen sollte: Es handelt sich
bestimmt um die lebendigste Äußerung zu seinem zweihundertsten Geburtstag. Aber
warum ist er innerhalb von Jelineks Werk besonders interessant und nicht nur
ein müßiges Dacapo derselben Leiermusik, der Leiermusik eben, die in Winterreise so eindrücklich zu Wort
kommt, ja viel eindrücklicher, oberflächlich, als in diesem
"Bühnenessay" zu Wagner? Die Antwort liegt darin, dass durch den
Wagnerbezug etwas zu Jelineks eigener Kompositionstechnik hervortritt, rein
assoziativ vielleicht, das sonst nicht so eindeutig wird: Jelinek ist
Wagnerianerin.
Als Skizze von dickstem Pinsel in ungeschicktester Hand könnte man
einen Kontrast zwischen "wagnerianischen" Kompositionen und
"nicht-wagnerianischen" zeichnen: Bei letzteren superveniert Klang
über Struktur, bei ersteren Struktur über Klang. Ein nicht-wagnerianischer
Komponist, zum Beispiel ein serieller Musiker wie Boulez oder ein konkreter
Lyriker wie Rühm, beginnt mit strukturellen Überlegungen, Überlegungen zur
Organisation von einzelnen Noten oder Buchstaben, und erst darüber entsteht ein
Klang, ganz abhängig von der Struktur und diese nicht bestimmend. Ein
wagnerianischer Komponist andererseits beginnt mit einem Klang, einem Akkord,
einem Motiv, und erst über der Wiederholung dieses Motivs und seinem Verhältnis
zu anderen Motiven entsteht so etwas wie eine Kompositionsstruktur. Jelineks
Texte sind nicht durch eine Reihe strukturiert, sondern durch das regelmäßige Auf-
und Abtauchen gewisser Sätze, die wiederum gewissen Themenkomplexen angehören.
Das Finanzmotiv beginnt, fließt kalauernd ins Heldenmotiv, von da ins
Neonazimotiv, dann taucht das Finanzmotiv wieder auf, dann kommt Jesus,
Zschäppe, Zschäppe halb als Jesus als Held als Alberich als Gold als
Finanzmotiv: Eine kaum enden wollende Traufe, über der nur dadurch Struktur
entsteht, dass die gleichen Waschkübel wieder und wieder von den Balkonen
geschüttet werden.
Jelinek ist Wagnerianerin: Man könnte die Assoziation auch kürzer
fassen und sagen, dass sie eben mit Leitmotiven arbeitet. Oder man könnte das
Wort "Suada" ins Spiel bringen, womit man sie auch gleich in die
bestimmt wichtige Verbindung mit Thomas Bernhard brächte. Nur, was heißt es,
wenn man sagt, ein Text sei eine Suada oder aus Leitmotiven konstruiert?
Vielleicht so etwas wie oben skizziert. Aber wichtiger als solche
Analyseversuche ist der Eindruck, der sich einem sowohl bei Wagner als auch bei
Jelinek aufdrängt, der Eindruck, man sei in einen Strom gefallen, dem man
nichts aufzwingen kann, dem man sich nur übergeben oder durch vollständiges
Abtrocknen entziehen kann. Nicht dass es nicht Tausende Unterschiede zwischen
den beiden gäbe, das Satirische, jedem Weihrauch bös Gesinnte ist doch eher
Jelineksch als Wagnersch usw. Aber die Grundeinstellung, die man tätigen muss,
um Wagner und Jelinek schätzen zu können, ist dieselbe: Man muss das Strömende,
das Leitmotivische, die Suada als Kompositionsprinzip akzeptieren, und nicht
als Kompositionsversagen, als Absturz in die Eindimensionalität, entwerten, um
die Komplexität und den Reichtum der Texte zu erkennen.
Deshalb lohnt es sich besonders, rein Gold zu lesen, um zu sehen: Wagner ist Jelinekianer.
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