Clemens
J. Setz, Indigo, Suhrkamp 2012.
Bolaño,
Kafka, Musil, Nabokov, D. F. Wallace. Wie diese, so auch Setz, spricht die
Fanfare der Kritik; nämlich witzig wie dieser, wortgewandt wie jener und
insgesamt wie sie alle: groß. Ein Schrifsteller, dem solche Vergleiche
zugemutet werden, kann einem nur leid tun oder könnte es, wenn er nicht selbst die entsprechenden Reverenzen hervorzöge. Setz zieht sie selbst hervor, und wie es um unser Mitleid steht,
wird sich noch weisen. Einstweilen ist klar, dass sich Setz bewusst in einer
Tradition der Moderne, Postmoderne und "Postpostmoderne" placieren
möchte, die, anders als der adrette Häkelverein um Daniel Kehlmann, ganz große
Literatur wagen will, Literatur, die die Welt in Sprache greift und so weiter,
sie aber auch, deshalb postmodern oder "postpostmodern", vollkommen
entzaubert als Pornographie im weitesten Sinne, was einem Realismusanspruch
gleichkommt, da die Welt ja entzaubert sei
und sinnentleert. Jedenfalls ist der Anspruch dieser Literatur sehr hoch, und
Setz möchte ihm gerecht werden. Diese Aussage ist die positivste, die ich in
dieser Rezension zu Setz machen werde, aber das meine ich keineswegs
abschätzig: Ein Werk muss an seinem Anspruch gemessen werden, und wer so hohe
Ansprüche hat wie Setz läuft natürlich Gefahr, ganz fürchterlich zu scheitern.
Aber nur schon durch den Anspruch allein, unabhängig vom Result, verdient er
sich Respekt. Wenigstens hätte zum Beispiel Indigo
ein wichtiges Buch werden können, während sämtliche Texte der Häkeldichter
schon von vornherein eine Zeitverschwendung für Autoren und Leser sind. Damit
könnte ich das Lob auch anders formulieren: Setz' Bücher sind keine
Zeitverschwendung, auch wenn sie, aus Gründen, die zur Sprache kommen werden,
nicht gut sind.
In
seiner Bemühung um ausgefallene Vergleiche mag sich Setz an Musil orientieren,
die zeitweilige Obsession mit Genitalorganen mag besonders an Houellebecq
erinnern, und die Situationen, in denen sich seine Protagonisten finden, mögen
"kafkaesk" sein, aber das hauptsächliche Vorbild seiner Literatur ist
ohne Zweifel David Foster Wallace, der König der "Postpostmoderne",
wie Setz sie in Kleine braune Tiere im
Kontrast zu Pynchons Postmoderne nennt (wobei die Postpostmoderne hier per
Reduzibilitätsaxiom durchwegs zur Postmoderne gekürzt werden wird). Es ist kein
Zufall, dass sich Setz in seinem Bestreben nach postmoderner Literatur an
Wallace wendet. Zunächst einmal wird Wallace allseits (auch diesseits)
zuerkannt, ein selten talentierter Schriftsteller gewesen zu sein; zum anderen
ist er wunderbar programmatisch, so wunderbar eben, wie es in der deutschen
Literatur, außer in sehr kurzlebigen Phänomenen wie dem Expressionismus, dem
Dadaismus oder der Wiener Gruppe, seit der Romantik nicht mehr vorgekommen ist.
Alle erdenklichen Merkmale der Postmoderne erscheinen bei Wallace, so wie bei
Zola alle erdenklichen Merkmale des Naturalismus oder bei T.S. Eliot diejenigen
des modernism erscheinen. Setz ist
offenbar der Meinung, die deutsche Literatur brauche die programmatische
Postmoderne, vermutlich, um den Würgegriff der Häkler zu überleben, oder
vielleicht auch einfach, um sich wieder mehr dem internationalen Diskurs
anzuschließen, wie es eben Stifter und den anderen poetischen Realisten zur
Zeit von Dickens, Balzac, Tolstoi so schlecht glückte.
Ob
die deutsche Literatur die Postmoderne braucht, hängt davon ab, was man für die
Postmoderne hält. Hält man sie für die programmatische amerikanische Tradition
über Gaddis, Pynchon, Wallace, bin ich skeptisch, doch dazu später mehr. Hält
man sie jedenfalls für diese Tradition und insbesondere in der Gestalt, in der
sie Wallace verkörpert, ist es Setz bestimmt geglückt, deutsche postmoderne
Bücher zu schreiben. Getreulich hat er alle programmatischen Merkmale kopiert,
sodass niemandem in den Sinn käme, es handle sich eventuell um etwas anderes
als postmoderne Literatur jener Gestalt.
Leider
hat er dabei nur eines vergessen, nämlich, auch gute Literatur zu schreiben, und ist dadurch, Ironie!, so weit
davon abgeirrt, wie sein Idol zu werden, wie er nur hätte abirren können. Wo
Wallace originell, poetisch, intelligent, kurz durchdringend ist, schmeckt Setz schal und ranzig. Die Frequenzen (2008) und Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes
(2011) sind so rein nach Wallaceschen Mustern gestrickt, aber gleichzeitig vor
allem sprachlich so unterlegen, dass man beinahe von einem missglückten
Pasticheversuch sprechen möchte. Wie in The
Pale King oder Infinite Jest
folgt die Romanhandlung der Frequenzen
in aufgebrochener Folge verschiedensten mittelmäßig gestrandeten oder
körperlich oder psychisch verrückten Menschen, die alle um ein gemeinsames
Zentrum rotieren. Und wie in Wallaces Erzählungsbänden (Brief Interviews With Hideous Men usw.) wird in der Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes
dieselbe narrative Methode einfach ohne offensichtliches bündelndes Zentrum
geboten. Aber im Gegensatz zu Wallace sind sowohl das narrative Zentrum, falls
vorhanden, als auch die Figuren nur schon von der Anlage her fade und
uninspirierend. Das Zentrum von Infinite
Jest ist eine Tennisakademie, dasjenige des Pale King die amerikanische Steuerbehörde IRS; das der Frequenzen irgendeine mitteleuropäische
Stadt. Die Verrückten bei Wallace tragen ihr Herz in der Handtasche oder als
Mitglieder der Union of the Hideously and
Improbably Deformed (U.H.I.D.) einen Schleier. Bei Setz verprügeln sie
Unschuldige auf der Straße oder masturbieren alleine in der Badewanne.
Selbstverständlich
ist es nur dann ein Defekt, eher unscheinbare Protagonisten zu animieren, wenn
man sich, wie Setz, allzeit den Anschein gibt, man schreibe einen Wallaceschen
Roman, da einem dann schlicht und einfach die Materialgrundlage für das
Unterfangen fehlt. Immerhin kann man auch weniger exotische Charaktere ins Netz
des postmodernen Großromans jagen. Aber zumindest müssten die Figuren lebendig
wirken, einen irgendwie interessieren. Setz' Figuren hingegen sind
Pappkameraden, denen man am liebsten durch Überblättern Rechnung trägt. Um zu
sehen, wie sehr er darin auch wieder von Wallace abfällt, reicht es aus,
Shane Drinion und Meredith Rand aus Kapitel 46 des Pale King mit Kirill und Lea aus der Titelerzählung der Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes zu
vergleichen. Während Rands und Drinions Konversation einen bis zur !Atemlosigkeit einnimmt, und sich dabei nicht nur die beiden Figuren,
sondern auch die Bar Meibeyer's und
der gesamte Lebensraum der IRS-Angestellten intensiver als die meisten wirklich
erlebten Gespräche und Räume ins Gedächtnis eingraben, hauchen Lea und Kirill
ihren letzten Atem bereits aus, als man erfährt, dass ihr Kater Magister
Perotinus Magnus heißt, und mögen sie noch so sehr auf die Lehmfigur des
Mahlstädter Kindes einprügeln. Setz, in seiner Anstrengung mit Wallace'
Einfallsreichtum mitzuhalten, verheddert sich in der Tolle-Idee-Literatur, wie
sie Leuten unterläuft, die keine Ideen haben, und kreiert dabei leblose
Homunculi, die dann allerdings auch noch rein intellektuell nichts
Interessantes zu sagen haben.
Indigo verspricht anfangs etwas mehr als seine
Vorgänger. Zumindest ist das Erzählzentrum exotisch, was wie eine neue Sorte
Fruchteistee (wie, mit Ananas?) zunächst den Gaumen etwas kitzelt: Es handelt
sich um eine Schule für Kinder, die an "Indigo" erkrankt sind, einer
Krankheit, an der nicht die Erkrankten leiden, sondern ihre Umgebung, da alle,
die mit Indigokindern in Kontakt kommen, von Übelkeit und Schwindelgefühlen
überwältigt werden. Eben, immerhin. Wir lernen also einige Indigokinder, Indigokinderangehörige,
Indigoforscher, sowie den ehemaligen Mathematiklehrer der Indigoschule, Clemens
Setz, kennen. Lernen wir sie kennen? Naja, wir konstatieren, dass sie da sind.
Im Verlauf des Romans, ungefähr nach zehn Seiten, verpufft der Ananaseffekt, und
man muss erkennen, dass es sich um den alten, schalen Eistee handelt. Die
Indigoschule ist eine Kulissenstadt und alle Kugeln treffen Kartonköpfe.
Außerdem
herrscht zwischen dem neuen und den älteren Büchern ein unglückseliges
sprachliches Kontinuum, oder ohne Plüsch formuliert: Indigo ist genauso schlecht geschrieben wie die vorhergegangenen
(wohin?) Bücher. Man lese zuerst wieder Wallace, zum Beispiel das Ende des
jetzt als erstes Kapitel des Pale King veröffentlichten Textes:
Your shoes' brand incised in the dew. An alfala
breeze. Socks' burrs. Dry scratching inside a culvert. Rusted wire and tilted
posts more a symbol of restraint than a fence per se. NO HUNTING. The shush of
the interstate off past the windbreak. The pasture's crows standing at angles,
turning up patties to get at the worms underneath, the shapes of the worms
incised in the overturned dung and baked by the sun all day until hardened,
there to stay, tiny vacant lines in rows and inset curls that do not close
because head never quite touches tail. Read these.
Dann
lese man Robert Musil, einen anderen Setzschen Hausgott, zum Beispiel diesen
Ausschnitt aus dem Kapitel Moosbrugger
des Mann ohne Eigenschaften, in dem
der Prostituiertenmörder desselben Namens vorgestellt wird:
Moosbrugger war als Junge ein armer Teufel
gewesen, ein Hüterbub in einer Gemeinde, die so klein war, daß sie nicht einmal
eine Dorfstraße hatte, und er war so arm, daß er niemals mit einem Mädel
sprach. Er konnte Mädels immer nur sehn; auch später in der Lehre und dann gar
auf Wanderungen. Nun braucht man sich ja bloß vorzustellen, was das heißt.
Etwas, wonach man so natürlich begehrt wie nach Brot oder Wasser, darf man
immer nur sehn. Man begehrt es nach einiger Zeit unnatürlich. Es geht vorüber,
die Röcke schwanken um seine Waden. Es steigt über einen Zaun, und wird bis zum
Knie sichtbar. Man blickt ihm in die Augen, und sie werden undurchsichtig. Man
hört es lachen, dreht sich rasch um sich und sieht in ein Gesicht, das so
reglos rund wie ein Erdloch ist, in das eben eine Maus schlüpfte.
Daran,
unter anderem, möchte Setz anknüpfen; verspielt sein, ironisch, ernsthaft, die
Sprache kontrollieren, aber trotzdem in ihrem Fluss mitgerissen werden,
Rhythmus und Idee im gleichen vorantreiben und so weiter und so fort. Das
Resultat lautet, an den besten Stellen, wie folgt:
Als damals das erste Kind geboren wurde, habe das
Leben plötzlich einen Sinn bekommen, sagte Herbert Rauber, der Vater von
Marianne Tätzel. Und jetzt, wo ein Enkelkind, Robert, da sei, habe auch das Sterben
für ihn einen Sinn bekommen. Denn was sonst sei die Aufgabe eines Großvaters
oder einer Großmutter, als einem jungen Menschen vorzusterben, so ähnlich wie
ein Klavierlehrer seinem Schüler ein Stück vorspielt? Note für Note werde ihm
nähergebracht, sowohl die kleinen Nuancen und Übergänge als auch die große
Einheit der Melodie würden veranschaulicht, die Bedeutung, die Einordnung, das
Maß. (Indigo, s. 257)
Hier
hinkt alles. Der Musikvergleich ist voll von abgedroschenem Vokabular,
"die große Einheit der Musik", vom "Lebenssinn" gar nicht
zu sprechen. Die Analogie funktioniert nicht: Wenn schon, dann lebt ein Großvater vor, das Sterben wäre
wohl mit dem Ende eines Musikstücks, nicht dem Musikstück selbst zu
vergleichen; oder zumindest sollte das Vorsterben in einen Bezug auf die Coda
eines Stückes gebracht werden. Dass nicht nur einfach der "Großvater"
dastehen kann, sondern ihn noch umständlich die "Großmutter"
begleiten muss, riecht nach überflüssiger political
correctness und behindert auf alle Fälle den Fluss des Textes. Die
Vermeidung der Wortdoppelung "da" - "da" durch ein
schief-dialektal zeitlich statt örtlich verwendetes "wo" ist zu
offensichtlich konstruiert und führt zudem dazu, dass Rauber vollkommen
unglaubhaft wird: Wer schon so gestochen spricht, wird auch "wo"
nicht zeitlich verwenden. Zudem, wer außer Glücksberatern spricht in nur schon
ähnlich papiernem Duktus? Nein, auch Indigo
reicht bei weitem nicht an seine Vorbilder heran.
Im
Grunde ist das sehr schade, denn eigentlich will man ja, dass Setz ein guter
Schrifsteller ist. Vielleicht wird er es noch, er ist ja Wunderkind und kann
sich entwickeln, und Anspruch und Intelligenz reichen bestimmt aus; aber es ist
schwer, aus den bisherigen Texten viel Hoffnung zu schöpfen. Das ist eben schade:
Denn wäre Setz ein guter Schriftsteller, hätte man einen programmatischen
Kontrapunkt im Namen der guten Literatur gegen all die neuen Erzähler oder
Thomas-Mann-Imitatoren. Es täte gut, eine wirkliche postmoderne deutsche
Literatur zu haben, das heißt eine Literatur, die zeitgenössisch, methodisch
reflektiert und anspruchsvoll ist. Aber Thomas-Mann-Imitatoren als
David-Foster-Wallace-Imitator gegenüberzutreten, so viel kann man von Setz
lernen (und deshalb ist es keine vergeudete Zeit, seine Bücher zu lesen),
reicht dazu offensichtlich nicht aus. Wir brauchen eine andere Postmoderne.
Die
Frage danach, was Postmoderne ist und was gute Postmoderne ist und was gute
Postmoderne leisten kann, ist für die Literatur nur als die Frage interessant,
wie jetzt, in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts, einer Zeit, die aus
Gründen begrenzter Nomenklatur immer noch Postmoderne genannt wird, gute
Literatur geschrieben werden kann. Es gibt eine programmatische Postmoderne,
als deren Imitator sich Setz versucht, aber für die Literatur ist dieser
Imitationsversuch nicht interessanter als der Versuch, Hermann Hesse
nachzuahmen: Reine Imitation reicht nie zu guter Literatur. Selbstverständlich,
Wallace und (einige wenige) andere Programmatiker haben es geschafft, eine gute
Antwort auf die Postmoderne zu finden, und so, gute Literatur zu schreiben,
aber das bedeutet nicht, dass damit die perfekte Rezeptur gefunden wäre, wie
eben gesehen. Um eine eigenständige postmoderne Literatur zu schreiben, das
heißt eine nicht rein epigonale, muss also die Frage gestellt werden, was die
Herausforderung der postmodernen Literatur ist, und dann, wie man sie MEISTERN
kann.
Ungefähr
scheint man unter dem Problem der Postmoderne für die Literatur (und die Kunst
allgemein) zu verstehen, dass es keine festen Richtlinien mehr gibt, dass wir
zuviele verschiedene Literaturen und Maßstäbe kennen, und dass eben nicht mehr
wie in der Moderne klar ausgerichtet geschrieben werden kann. Dass das falsch
ist, ist schon allein dadurch ersichtlich, dass es eben eine programmatische
postmoderne Literatur gibt. Aber immerhin, ein Grundgefühl bleibt, dass die
Welt nicht mehr in Literatur zu greifen sei und so weiter, dass das Angebot an
möglichen Literaturformen zu groß sei. Darin unterscheidet sich die Postmoderne
überhaupt nicht von der Moderne, und wenn man bedenkt in wievielen Gattungen
Goethe geschrieben hat, während heutzutage beinahe nur noch Romane
veröffentlicht werden, wird das Grundgefühl als spezfisch postmodernes immer
dubioser. Aber immerhin, ein Grundgefühl bleibt, und wir sind nicht Goethe, das
heißt wir müssen uns erst noch ein Werk erschreiben. Wie? Nicht durch die
Erstellung und Einhaltung programmatischer Kriterien. Aber dann: WIE? Ach die
Verzweiflung!
Dabei
ist es unendlich einfach. Man tue einfach dasselbe, was man schon immer getan
hat. Man nehme literarische Formen, spiele mit ihnen, MUT!, unterwerfe sich
diversen literarischen Einflüssen, nicht nur Wallace, auch Arno Schmidt, auch
H.C.Artmann, auch Fontane, immer Goethe, Quirinus Kuhlmann!, Aischylos, Walther
von der Vogelweide. Spieltrieb, Mut und sprachliches Bewusstsein sind die
einzigen Voraussetzungen. Man schreibe Hirtendichtung, Chroniken,
Kriminalromane, Epinikia, Erlebnisberichte, Lexika, Kataloge. Das einzige, was
man nicht tue, ist, jemanden zu imitieren oder, noch schlimmer, programmatisch
festzuhalten, was Spieltrieb, Mut und Sprachkunst seien. Nicht wie Setz! Aber
das bedeutet doch nicht, dass wir wie Kehlmann vor uns hinmodern müssen. Noch,
dass es nicht schon sehr gute postmoderne deutsche Literatur im
nicht-programmatischen Sinn gäbe: Ich erwähne nur Felicitas Hoppe und Elfriede
Jelinek. Zuletzt ist es das, was Wallace von Setz unterscheidet und Goethe von
Kotzebue: Er zaudert nicht, sondern schreibt.
Vor
250 Jahren wurde Jean Paul geboren, einer der grandiosesten Drauflosschreiber
und Sprachspieler. Anstelle weiterer Aufrufe ein Ausschnitt aus dem Siebenkäs, in dem Firmian Siebenkäs in
Bayreuth frischverliebt Natalie, Venners Braut, gegenübersitzt, während seine
ungeliebte und unliebende Frau Lenette in Kuhschnappel zurückgelassen das
traute Heim bewacht:
Darbender Firmian! An deinem
Lebenflüßchen steht, wenn es auch zu einem Perlenbach wird, immer eine Galgen-
und Warntafel! - In einer solchen warmen Temperatur, wie deine jetzo war, mußte
dir der Ehering zu eng anliegen und dich kneipen, wie überhaupt alle Ringe in
warmen Bädern pressen, und in kalten schlottern.
Aber irgendeine teuflische Najade oder
ein ränksüchtiger Meergott hatte die größte Freude, Firmians Lebens-Meer, wenn
es gerade von einigen phosphoreszierenden Seetieren oder von einer
unschädlichen elektrischen Materia reizend leuchtete, und wenn sein Schiff
darin eine schimmernde Straße hinzog, umzurühren und zu trüben und zu
verfinstern; denn eben als das Vergnügen und die äußere Gartenpracht immer
höher wurde - und die Verlegenheit kleiner - die schmerzlichen Erinnerungen an
den neuen Verlust versteckter - als schon das Fortepiano oder das
Fortissimopianissimo und die Singstücke aufgemacht waren - kurz, als die
Honiggefäße ihrer Freuden-Orangerie insgesamt und erlaubte ägyptische
Fleischtöpfe und ein weiter Abend- und Liebesmahls-Becher offen war: so sprang
mit zwei Füßen nichts Geringers hinein als eine große Schmeißfliege, die schon
öfters in Firmians Freudenbecher geflogen war.
Der Venner Everard Rosa von Meyern
trat ein, anständig in Safran gekleidet, um seiner Braut das Gesandten-Recht
des ersten Besuchs zu geben. ... (Drittes Bändchen, Dreizehntes Kapitel)