Felicitas
Hoppe, Hoppe, Suhrkamp 2012.
Dieses
Buch ist leicht zu lesen, sehr schwer zu lesen, äußerst leicht zu lesen,
unendlich schwer. Es ist leicht zu lesen, weil es inhaltslos ist und man mit
roten Pausbacken über seine Oberfläche gleiten kann. Es ist sehr schwer zu
lesen, weil diese Inhaltslosigkeit zu einem Mangel an jenen Reibflächen führt,
die man als Leser experimentellerer Literatur gewöhnt ist, auch aus Hoppes
eigenen früheren Büchern wie Johanna;
sprachliche Feuerwerke, komplizierte Metaphern, sinnesschwere Reflexionen
finden sich kaum. Es ist äußerst leicht zu lesen, weil einem die Eleganz und
Makellosigkeit der Sprache die Inhaltsschwere als Lesestimulus ersetzt. Das
Buch ist unendlich schwer, weil aus der Makellosigkeit, der stilistischen Vollkommenheit,
der Inhaltsleere eine Traurigkeit und Verlorenheit aufgeht, dass man sie, je
weiter der Text fortschreitet, kaum mehr aushält.
Die
Inhaltslosigkeit von Hoppe entsteht
durch die Überfülle an Inhalt. In Hoppes Biographie sind wir einmal in Kanada
und spielen Eishockey mit Wayne Gretzky, dann in Australien, irgendwann wird
wie Glenn Gould Klavier gespielt, in Hameln fängt mit dem Rattenfänger alles
an, und es endet alles im Red Crab Inn
in Adelaide. Hinzu kommen Auszüge aus Notizen, Romanen usw Hoppes, der Figur,
Kommentare Hoppes, der Autorin und Rezensionen zu Hoppe, der Figur, das heißt
der Autorin. Diese leere Überfülle parodiert die Erlebnisliteratur all der mit
Schimpansen geturnthabenden Globetrotterinnen, aber nicht satirisch böse, sondern
mit kindlichem Ernst und luftiger Ironie: Die Überfülle wird verspielt
ernstgenommen als literarische Möglichkeit und ausgebaut zur Eisskulptur in
Schönheit ohne Leben. Zumindest scheint es zunächst so, und man fühlt sich
gleichgültig abgewiesen, nicht wegen der eigenen Gleichgültigkeit dem Text
gegenüber, sondern wegen der Gleichgültigkeit des Textes gegenüber dem Leser.
Der Text scheint den Leser nicht zu brauchen, er ist in sich glücklich
gefroren, und man findet keine Haftung, obwohl man sich an der glatten
Oberfläche stellenweise freut. Es fällt einem leicht, die ersten hundert Seiten
in einer halben Stunde zu lesen, man verpasse nichts. Nur merkt man dann, dass
man doch etwas verpasst hat.
Zum
einen eben die Sprache. Es hat sich eingebürgert, dass das Ergebnis von
experimenteller Literatur, das heißt von Literatur, die sprachlich oder
anderweitig formal etwas versucht, eine Sprache ist, die sich, wie bei
Mayröcker, jenseits der Eindeutigkeit verhüllt. Hingegen ist es das
Markenzeichen des intellektuellen Schwachsinns geworden, "neu zu
erzählen" und das Experiment an der Sprache überwunden zu haben. Vor
diesem Hintergrund ist es schwierig, sich in Hoppe einzufinden. Der Roman scheint erst einmal banal, poetisch
harmlos und literarisch unbefriedigend. In diesem Stadium der Lektüre
überspringt man eben ein-, zweihundert (der dreihundert) Seiten. Aber bald
stellt sich heraus, dass Hoppes Sprache sehr wohl das Ergebnis eines
Formbemühens, nicht des Schwachsinns ist und mutiger als manche ostentativ
verschwurbelten Kompositionen. Die Sprache ist durchsichtig und klar, filigran
gebaut, wie es nur ein Künstler kann, der das ganze Spektrum der Literatur
aktiv durchlaufen hat, der komplizierte, opake Metaphern bauen kann, sich aber
entscheidet, es nicht zu tun. Hinter jedem eindeutigen Satz in diesem Buch
steht ein zweideutiger, der aus bewusster Entscheidung nicht an seiner Stelle
steht und der ihm dadurch an poetischer Komplexität nicht überlegen ist. Vor
diesem neuen Hintergrund ist der Leser nun gezwungen, jeden einzelnen Satz zu
lesen, die Perfektion des einen reißt einen in die Perfektion des nächsten, bis
man das ganze Buch auch eilig gelesen hat, aber Wort für Wort, nicht im
Bocksprung.
Zum
anderen verpasst ein allzu pausbäckiger Leser die ernste Traurigkeit, die,
zuerst kaum merklich, dann überwältigend, aus dem Text aufsteigt. Mit dem
Fortschreiten der Erzählung wird ihr Anlass immer deutlicher: Es ist
Heimatlosigkeit und Heimweh, die sie prägen, und Hoppe ist nicht nur eine
heitere, sondern auch eine verlorene Figur. Ihre Verlorenheit kulminiert im Red Crab Inn, wo sie hofft, sich ihren
Vater, der am Anfang ihrer Reisen steht, zu erschreiben, der aber nicht
anzutreffen ist, sodass sich die Hoffnung auf ein Wiedersehen, eine Verankerung
im Bekannten, vage in die Zukunft verflüchtigt, vage als Möglichkeit einer
Fiktion: "Nur der, den ich wirklich
suche (gemeint ist offenbar ihr Vater, Karl Hoppe/fh), bleibt unauffindbar,
weil ihn bis heute niemand verschriftlicht hat. Soll das etwa heißen, dass es
ihn gar nicht gibt? Ich gebe die Suche trotzdem nicht auf, ab morgen gehe ich
auf Tournee, von Haus zu Haus, an jede Tür will ich klopfen, den Steckbrief mit
seinem Bild hochhalten und nach ihm fragen. Zuerst wird es heißen: Kennen wir
nicht nicht, wer soll das sein, nie gehört, nie gesehen. Dann aber wird es, je
nach Hartnäckigkeit, heißen: Gesehen zwar nicht, aber schon mal gehört, jemand
hat gestern von ihm gesprochen, kann bei den Nachbarn gewesen sein. Und dann
wird es, wider Erwarten, heißen: Natürlich, erst neulich im Red Crab Inn. Und
dort schließlich wird man freundlich sagen (Fox weiß genau, wie man mit Gästen
umgehen muss): Ja, er ist wirklich hier gewesen, hat hier gegessen, gespielt
und getrunken, zwei Wochen lang jeden Abend dasselbe." (s. 235)